Jordan Peterson scheint ein mutiger und konsequenter Mensch zu sein. Er weigert sich ein in Kanada eingeführtes Gesetz zu befolgen, das den sprachlichen Umgang mit Transgender-Personen regelt — mit allen Konsequenzen bis zur Verhaftung. Ich habe von Peterson erstmals über einen Artikel mit gleichnamigem Titel in eigentümlich frei erfahren (Peterson 2018) und von ihm weder eine Publikation gelesen noch ein Video gesehen. Trifft das über ihn Geschriebene zu, verdient der Mann Anerkennung und Zustimmung. Doch möchte ich mich an dieser Stelle nicht zu dem äußern, was meine Zustimmung findet, sondern welchen Gedanken ich eher kritisch gegenüber stehe. Bezogen auf den zitierten Text gibt es zwei Punkte, die ich kommentieren möchte: 1. „Das Leben ist tragisch, und es gibt Böswilligkeit.“ Dies ist nach meinem Verständnis eine sehr anthropogene Sicht der Dinge. Die Welt kann nur aus der Sicht eines Menschen tragisch und böswillig sein. Dabei ist die Welt weder das eine noch das andere. Sie ist einfach wie sie ist. Wir suchen uns eine Nische und versuchen darin etwas Sinnvolles zu tun; und wenn wir Glück haben, finden wir darin sogar unser eigenes Glück. Aber es kommt noch ärger: 2. „. . . müsse der Mensch seine eigenen Werte schaffen, also Gott werden.“ Da ist ER wieder — Gott. Aber eins nach dem anderen. Wie entwickelt Peterson dieses Statement? Nietzsches Ausruf „Gott ist tot“ verstehe er „mehr als Warnung denn als . . . Befreiungsparole“. Laut Nietzsche habe das Christentum „einen ‚in sich kohärenten Denkrahmen‘ geschaffen, aus dem allein die wissenschaftliche Revolution hervorgehen konnte.“ Mit dem Verlust des „disziplinierenden Rahmens“ des Christentums begründet Nietzsche (voraussehend) Millionen Tote für das 20. Jahrhundert. Und weiter, „der Verlust des Christentums habe auch zu einer Spaltung unseres Denkens von unseren Träumen geführt. Das Ergebnis sei nicht, dass wir völlig rational werden, sagt Peterson in einem Seitenhieb auf einige Atheisten. . . . Das Gegenteil sei viel wahrscheinlicher . . .“. Zu all dem gäbe es so viel zu sagen. Ich halte es aber erst einmal kurz: Wie haben es die vorchristlichen ja schon die vorsokratischen Griechen ganz ohne Christentum zu deren wissenschaftlichen Höhenflug gebracht, der dummerweise von den Römern und von religiösen Ptolomäern so abrupt gestoppt wurde? Und waren es nicht Christen, die eine wissenschaftliche Weiterentwicklung des griechischen Wissens unterdrückten? Und: Wieso wird man zu Gott, wenn man sich selbst Werte schafft? („Denn um diesem Schicksal [Hunderte Millionen Tote im 20. Jahrhundert] zu entgehen, müsse der Mensch seine eigenen Werte schaffen, also Gott werden.“) Wer wissenschaftlich denkt, denkt sokratisch und das heißt vor allem zu wissen, dass man nichts weiß. Man kann kaum einen größeren Abstand zwischen sich und diesem Konstrukt eines allwissenden Gottes bringen und sich seiner Kleinheit bewusst werden als durch dieses wissenschaftlich–rationale Selbstverständnis. Ich sehe keine andere echte Möglichkeit zum Schutze der Natur vor der Spezies Homo sapiens als ein Ablassen von allem Transzendenten hin zu einem Mindestmaß an dieser sokratesschen rationalen Erkenntnis. Bei all unserer Rationalität, dem bisschen, sind wir emotionale Wesen. Und gerade diese Emotionalität ermöglicht unsere soziale Kompetenz, die wiederum die Basis für Teamfähigkeit ist was wiederum synergetische Effekte ermöglicht, die ein Team viel mehr leisten lässt, als es je einem Individuum möglich wäre. Lassen wir die Kirche im Dorf. Hören wir auf, denjenigen, die über Rationalität reden, den Anspruch auf Allwissenheit anzudichten. Leben kennen wir bis dato nur auf unserem Planeten. Auch wenn man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit annehmen darf, dass es extraterrestrisches Leben gibt, kann man feststellen, dass dem Leben nur begrenzte Ressourcen auf dem jeweiligen Heimatplaneten zur Verfügung stehen. Lebewesen aller Arten konkurrieren untereinander um diese begrenzten Ressourcen. Der ursprüngliche „Sinn“ des Lebens besteht darin, die zur Verfügung stehenden Ressourcen ausreichend gut zu nutzen, um eine Generation nach der anderen ins Leben zu entlassen und damit den Erhalt und die Weiterentwicklung der eigenen Art zu sichern. Anzunehmen, dass mehr dahinter steckt, bedeutete, etwas Besonderes in der eigenen Spezies zu sehen. Dies führte zu Überheblichkeit, Mangel an Respekt gegenüber der restlichen Natur und damit am Ende zwangsläufig zum Untergang der eigenen Art. Daher halte ich es für viel sinnvoller, Zufriedenheit anzustreben („. . . irgendwie dem Nächsten dienen.“ Peterson2018) sowie im Einklang mit der Natur zu leben. Obwohl Respekt und Betonung des Individuums für viele nur christlich fundiert gedacht werden können, bin ich doch der Ansicht, dass man dazu nicht zwingend einen Gott benötigt. Mit Ratio und sozialer Kompetenz kann man zur gleichen Überzeugung gelangen. Allerdings: Warum das Gute und Richtige letztlich getan wird, kann man nachrangig betrachten. Wenn das Christentum hilft, warum nicht. Nur sollten alle, die so denken, das Gemeinsame in den Vordergrund rücken, anstatt sich in einem Disput, Gott ja oder nein, zu verlieren oder gar zu entzweien. Machen wir uns lieber die Wichtigkeit klar, sich gegenüber all den Gierigen und irrationalen Utopisten insofern durchzusetzen, als dass zu Ratio und sozialer Kompetenz führende Gene in unserer Spezies erhalten bleiben, um einem ausreichenden Maß, aber eben keinem Übermaß an Rationalität und Individualität zum Durchbruch zu verhelfen.

Literatur

Peterson, Jordan (2018). “Zahnentzug für die Postmoderne”. In: eigentümlich frei 21.182, S. 48–51.

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