Wie zum Beispiel auf bz-berlin.de zu lesen, berichtet das RKI zusammen mit Gesundheitsminister Jens Spahn, dass die Abnahme der Neuinfektionen stagniere und sich gerade ein Plateau ausbilden würde. Doch das sich ausbildende Niveau sei noch zu hoch. Und obwohl man noch nicht genau wisse, „ob die besorgniserregenden Varianten dabei eine Rolle spielen“, wie Wieler sagte, „erwarte er in den kommenden Wochen mehr Ausbrüche.“ Man weiß wieder mal wenig, erwartet aber viel, vor allem Schlimmes. Mir geht es nicht darum, die Pandemie klein zu reden. Wie zum Beispiel mit den vulnerablen Gruppen umgegangen wird, ist inakzeptabel. Um so wichtiger ist es, dass die Datenbasis, auf deren Grundlage argumentiert und vor allem beschlossen wird, solide ist.
Das RKI geht davon aus, dass die von den Gesundheitsämtern täglich übermittelten Fälle, „nicht direkt das aktuelle Infektionsgeschehen wider“ geben. Es werden daher fehlende Werte zum Erkrankungsbeginn „imputiert“. Das RKI geht sogar so weit, ein Datum für einen Erkrankungsbeginn für Fälle mit asymptomatischen Verlauf anzunehmen. Konkret schreibt das RKI im selben Dokument (S. 2): „In manchen Fällen einer bestätigten SARS-CoV-2-Infektion entwickelt sich ein asymptomatischer Verlauf, so dass es nie zu einem Erkrankungsbeginn kommt. Trotzdem wird auch diesen Fällen in Rahmen unserer Analyse ein künstlicher Erkrankungsbeginn zugeordnet, sie werden behandelt, als handele es sich um eine fehlende Angabe des Erkrankungsbeginns.“ Das RKI manipuliert also die Daten, die es von den Gesundheitsämtern erhält. Gesunde werden zu Kranken. Was wir sehen, sind veränderte Daten, wobei die Manipulationen auf Annahmen beruhen. Wir wissen nicht, wie gut oder schlecht diese Annahmen begründet sind. Wir sehen nicht die Originaldaten. Grundsätzlich ist es eine korrekte Vorgehensweise, objektiv prüfbare Qualitätskriterien für Daten festzulegen und Daten, die diesen Kriterien nicht genügen, auszusortieren. Das soltle immer nach dem gleichen Schema erfolgen. Allerdings sollten die Originaldaten zum Vergleich mit abgebildet werden.
Schauen wir jetzt aus einem anderen Blickwinkel auf die Daten, wobei Außenstehenden nichts anderes übrig bleibt, als die vom RKI zur Verfügung gestellten Zahlen zu verwenden. Wohingegen man die Zahl der Infizierten beziehungsweise, um genauer zu sein, die Zahl der tatsächlich infektiös Erkrankten nur schwer bestimmen kann, gelingt dies bei den Verstorbenen schon besser. Auch wenn es hier Vorbehalte gibt und man anführen kann, dass zu wenige Obduktionen durchgeführt werden, soll angenommen werden, dass die Zahl der an Sars-Cov-2 Verstorbenen besser bestimmt werden kann als die Zahl der Erkrankten.
Die folgende Abbildung enthält zugegebenermaßen ziemlich viele Kurven. Ich werde eine nach der anderen beschreiben. Die schwarze, durchgezogene Kurve zeigt den Verlauf der täglichen Neuinfektionen der zweiten Welle in Form der nun mehr oder weniger gut bekannten und verstandenen Inzidenz, also Neuinfektionen pro hunderttausend und Woche. Dabei ist die Anzahl der durchgeführten Tests (grüne, gestrichelte Kurve) berücksichtigt (Details siehe hier). Die blaue, gestrichelte Kurve zeigt die Zahlen wie vom RKI veröffentlicht, also ohne Berücksichtigung der Zahl durchgeführter Tests. Schwarze, blaue und grüne Kurven zeigen jeweils ein sieben-Tages-Mittel. Die rote, durchgezogene Linie ist eine Approximation (Details siehe hier) über eine modifizierte Glockenfunktion. Die rote, gestrichelte Linie zeigt einen Verlauf über eine nicht modifizierte Glockenfunktion. Die Zahl täglicher Neuinfektionen steigt ab t_{255} (02.10.2020) steil an, um dann ab t_{295} (11.11.2020) in ein Plateau überzugehen. Die Anzahl der Tests nimmt ebenfalls ab t_{255} zu und erreicht das absolute Maximum in der Woche vom 26.10. – 01.11.2020. Damit wurde ein absolutes Maximum an durchgeführten Tests unmittelbar vor dem zweiten Lockdown erreicht. Ab dem 02.11.2020 nimmt die Zahl der Tests ab. Mit einer Verzögerung von wenigen Tagen geht der Kurvenverlauf in ein Plateau über. Dieses Plateau ist sowohl in den RKI-„Originaldaten“ zu erkennen, begleitet sogar von einem leichten Rückgang, als auch in den Daten, die die Zahl der Tests berücksichtigen. Ab t_{313} (29.11.2020) nimmt die Inzidenz wieder zu. In den Originaldaten des RKI sind zwei Peaks um das Maximum zu erkennen, die von entsprechenden Ausschlägen bei den Testzahlen begleitet werden. In der schwarzen Kurve, die die Zahl der Tests berücksichtigt, prägt sich nur ein Peak aus. Seit t_{345} (31.12.2020) fällt die Inzidenz steil ab. Ab t_{386} (10.02.2021) scheint sich ein Plateau einzustellen. Testzahlen sind aktuell bis zum 14.02.2021 (KW 06) veröffentlicht.
Man erkennt im Kurvenverlauf eine deutliche Asymmetrie zwischen ansteigender und abfallender Flanke. Die Approximation (rote, durchgezogene Linie) bildet das Zwischenplateau der ansteigenden Flanke näherungsweise ab. Für die abfallende Flanke sagt die Approximation eine vorübergehende Abflachung der Abnahme der Inzidenz voraus. Eine Ursache für die Zwischenplateaus ist mir nicht bekannt. Möglich ist auch, dass es sich „nur“ um Datenartefakte handelt, die entweder bei der Erfassung oder durch die Aufbereitung erklärt werden könnten. Ohne dies zunächst genauer zu betrachten, soll im Folgenden der Verlauf der Toten pro hunderttausend und Woche betrachtet und die Frage beantwortet werden, ob dieser stufenförmige, plateauartige Verlauf auch dort zu beobachten ist. Denn, wenn die Inzidenz den tatsächlichen Verlauf der Zahl der Erkrankten beschreibt, müsste sich ein Plateau auch im Verlauf der Zahl der Toten zeigen. Dies gilt zumindest unter der Annahme einer konstanten Sterberate (nicht Fallsterblichkeitsrate).
Die folgende Abbildung zeigt den Verlauf der Toten pro hunderttausend und Woche als gleitendes sieben-Tage Mittel (schwarze Kurve). Ab etwa t_{265} (12.10.2020) beginnt die Zahl zunächst leicht zu steigen. Ab etwa t_{280} (27.10.2020) nimmt die Zahl der Toten deutlich zu. Der Verlauf wird gut durch eine modifizierte Glockenkurve beschrieben. Es prägt sich kein Plateau in der steigenden Flanke aus. Um t_{340} (26.12.2020) erkennt man einen Einbruch der Zahlen. Dies ist mit hoher Wahrscheinlichkeit mit einem reduzierten Meldeverhalten der Gesundheitsämter um Weihnachten und den Jahreswechsel zu erklären. Die Kurve steigt ab t_{351} (06.01.2021) steil an. Dies dürfte durch nachgemeldete Todesfälle zu erklären sein. Ob sich in der fallenden Flanke das Plateau zeigt, wie es sich aus den Infiziertenzahlen andeutet, bleibt abzuwarten. Da die Sterbefälle dem Erkrankungsdatum um zwei bis drei Wochen nachfolgen. Ähnlich zur Inzidenz steigt auch diese Kurve flacher an als sie abfällt. Die Breite der Kurve wird über die Zahl \sigma beschrieben. Diese ist für die Zahl der Neuinfektionen mit 17,61 deutlich größer als für die zahl der Toten mit 13,09. Im Gegensatz dazu sind diese Werte für die erste Welle (nicht in einer Abbildung gezeigt) vergleichbar mit \sigma = 6,56 für die Zahl der Neuinfektionen und \sigma = 6,74 für die Zahl der Toten.
Schlussfolgerung
Der Vergleich der beiden Abbildungen, Verlauf der Zahl an Neuinfektionen und der Zahl an Toten, legt nahe, dass der plateauförmige Anstieg der Inzidenz ein Datenartefakt darstellt. Es wird nun abzuwarten sein, ob sich ein entsprechender Unterschied zwischen Neuinfektionen und Sterbefällen auch in der fallenden Flanke einstellt. Da die Kurve zur Zahl der Toten der der Neuinfektionen um zwei bis drei Wochen hinterher hinkt und das Plateau bei den Neuinfektionen sich um den 10.02.2021 einzustellen beginnt, könnte es also bis zum 03.03.2020 dauern, bis man eine entsprechende Überprüfung vornehmen kann. Am 03.03.2020 findet der nächste Corona-Gipfel statt, an dem möglicherweise eine Fortführung des Lockdowns beschlossen wird, da die angestrebte Inzidenz von 35 dann wahrscheinlich noch nicht erreicht sein wird. Die Abschwächung des Abschwungs der Inzidenz könnte als Argument für die Verlängerung herangezogen werden. Aktuell verharrt die Inzidenz, berechnet aus den originalen RKI Werten, bei etwa 60. Wäre der Rückgang kontinuierlich verlaufen, würde sich eine Inzidenz von 35 schon in der letzten Februarwoche einstellen. Es wird also spannend werden, in den nächsten beiden Wochen zu beobachten, ob sich das Plateau in der abfallenden Flanke ebenso als Datenartefakt herausstellt, wie in der ansteigenden Flanke.