Wie schon an anderer Stelle gezeigt, betrachten wir in der folgenden Abbildung den Verlauf der Zahl der Neuinfektionen (schwarz) mit denen der Toten (rot); jeweils als pro hunderttausend und Woche und auf das jeweilige Maximum normiert (Details). Es ist zu erkennen, dass die Zahl der Neuinfektionen ansteigt und die Kurve zunehmend steiler wird. Die Zahl der Toten fällt. Der Abfall schwächt sich zwar ab, es hat sich bisher aber noch kein Plateau ausgebildet.
Diese gegenläufige Entwicklung hat zur Folge, dass die Fallsterblichkeitsrate abnimmt. Die folgende Abbildung zeigt die Entwicklung der Fallsterblichkeitsrate für die zweite Welle; einmal für die Werte, wie vom RKI veröffentlicht (schwarz) und zum anderen normiert auf die Anzahl durchgeführter Tests (rot). Die grüne Kurve zeigt den Verlauf der durchgeführten Tests pro Woche. Das Maximum der Anzahl Tests wurde im Sinne einer vergleichenden Darstellung auf 0,05 gesetzt. (Das tatsächliche Maximum der Anzahl pro Woche durchgeführter Tests liegt in KW 51, am 14.12.2020 und betrug 1.672.033.) Die Anzahl Tests nimmt seit KW 06 (08.02.2021) mit einem lokalen Minimum von 63 Prozent auf nunmehr knapp 84 Prozent des Maximums in KW 12 (22.03.2021) zu. Der rote Pfeil zeigt den Zeitpunkt des zweiten Lockdowns am 02.11.2020, der blaue Pfeil den Zeitpunkt des harten Lockdowns am 16.12.2021.
Im Folgenden werden Zahlen zur roten Kurve genannt. Das Maximum der Fallsterblichkeitsrate lag bei 4,2 Prozent, Anfang Dezember 2020. Der Mittelwert der letzten vier Wochen liegt bei 1,33 Prozent. Aktuell liegt die Fallsterblichkeitsrate bei 0,81 Prozent. Teilt man den letzten Wert wegen der angenommenen Dunkelziffer von etwa Faktor fünf entsprechend durch diesen Wert, kommt man auf eine geschätzte Sterberate von nunmehr „nur“ noch 0,16 Prozent. Dieser Wert liegt unter dem von Ioannidis berichteten Wert für die weltweit geschätzten Sterberate von 0,23 Prozent. Wobei Ioannidis Analyse das ursprünglichen Virus beschreibt.
Britische Forscher publizierten kürzlich einen Wert für die Sterberate für die B.1.1.7 genannte Mutation des Corona-Virus von 0,41 Prozent. Das ist das 2,5-fache des aktuell für Deutschland geschätzten Wertes. Weshalb sinkt die Fallsterblichkeitsrate aktuell so stark? Dies lässt sich mit der starken Zunahme täglicher Neuinfektionen bei fallenden Todeszahlen erklären. Unterstellt man eine höhere Fallsterblichkeitsrate, könnte man dies mit einer entsprechend hohen Fehlerrate (false positive) erklären. Das heißt, die tatsächliche Zahl an Neuinfektionen ist in Wirklichkeit gar nicht so hoch.
Es wäre ebenso möglich, dass die Zahl der Neuinfektionen nur steigt, weil die Zahl der Tests zunimmt. Um dies zu prüfen, kann man den Verlauf der Infektionszahlen mit der Positivrate vergleichen. Die folgende Abbildung vergleicht drei Kurven. Der Verlauf 1) täglicher Neuinfektionen (normiert auf Anzahl Tests) in rot, 2) prozentualer Anteil positiver Testergebnisse in blau und 3) der Verlauf der Zahl der Toten in schwarz. Alle Kurven sind auf ihr jeweiliges Maximum normiert. Rote und blaue Kurve verlaufen parallel.
Die Zunahme der Positivrate zeigt, dass die Zunahme der Infektionszahlen nicht alleine auf die Zunahme der Anzahl durchgeführter Tests zurück zu führen ist. Unter der Annahme, dass die Fehlerrate bei den Tests über die Zeit relativ konstant bleibt, nimmt aktuell das Infektionsgeschehen in der Tat zu. Auch, wenn dies zunächst keine gute Nachricht ist, scheint es doch so zu sein, dass die schlimmst mögliche Auswirkung des Virus, die sich in der Fallsterblichkeitsrate ausdrückt, rückläufig ist. In diesem Sinne verliert das Virus einen Teil seines Schreckens. Es ist aber auch zu erkennen, dass in der zweiten Welle das Maximum fast viermal so hoch ist, wie in der ersten Welle. Zudem dauert die zweite Welle länger an. In der ersten Welle verstarben bis zum 29.06.2020 (t_{160} ) 8.973 Menschen. In der zweiten Welle verstarben seit dem 17.09.2020 (t_{240}) bis zum 31.03.2021 (t_{435}) 67.172. Damit sind in der zweiten Welle bis heute fast 7,5 mal so viele Menschen an dem Virus verstorben wie in der ersten Welle.
Wie könnte es weiter gehen? Sehen wir uns dazu eine Prognose zum Verlauf der Toten an. Dazu wurde eine modifizierte Gaus’sche Glockenfunktion (rote, durchgezogene Kurve) an die aktuellen Daten (schwarze Kurve) angenähert. (Die rote, gestrichelte Linie zeigt eine nicht modifizierte Glockenkurve.) Diese Näherungskurve beschreibt einen möglichen weiteren Verlauf der Entwicklung der Zahl der Toten pro Zeiteinheit für die nächsten sechs Wochen. Die Prognose soll helfen, Änderungen an den Rahmenbedingungen zu erkennen. Sprich, ändert sich nichts an der aktuellen Situation, keine neuen Mutationen, kein verändertes Verhalten, etc., sollten die realen Zahlen der roten, durchgezogenen Linie folgen. Stellt sich aber eine dritte Welle ein oder wirkt sich die nun kommende wärmere Jahreszeit positiv aus, wird man für den ersten Fall erwarten, dass die realen Werte oberhalb der roten Kurve liegen, stellt sich letzteres ein, werden die realen Daten unterhalb der roten Kurve liegen.
Entwickelt sich der weitere Verlauf der Pandemie wie prognostiziert, ist die zweite Welle, gemessen am Verlauf der Zahl der Toten, in vier bis fünf Wochen vorbei.
Schlussfolgerung
Erneut muss erneut festgestellt werden, dass, bei einer Fallsterblichkeitsrate von 0,81 Prozent, immer weniger ein Grund ersichtlich ist, der eine epidemische Lage nationaler Tragweite rechtfertigt, wie vom Deutschen Bundestag am 04.03.2021 erneut beschlossen wurde.
Der Deutsche Bundestag begründet die Lage mit dem „nach wie vor hohe[n] Infektionsgeschehen und [der] Verbreitung neuer Virusmutationen.“ Infektionsgeschehen und Mutation führen aber offenbar nicht zum schlimmst möglichen Szenario, nämlich einer Zunahme der Sterberate. Eine Überlastung des Gesundheitssystems, falls dies denn derzeit tatsächlich der Fall ist, führt ebenfalls zu keinem negativen Trend bei der Entwicklung der Sterberate. Oder aber, das Gesundheitswesen ist (noch) nicht überlastet.
Interessant erscheint mir auch ein Blick auf die Zeitpunkte der Maxima bei den Testzahlen: der zweithöchste und dritthöchste Wert von 1.663.992 in KW 44 (26.10.2020) beziehungsweise 1.634.729 in KW 45 (02.11.2020) liegt unmittelbar vor dem zweiten Lockdown. Der höchste Wert von 1.672.033 in KW 51 (14.12.2020) liegt unmittelbar vor dem Beschluss zum harten Lockdown. Es sei ein Schelm, wer schlechtes dabei denkt. Erst recht, wenn man die aktuellen Diskussionen zu weiter einschränkenden Maßnahmen um Ostern verfolgt und die Zahl der Tests in den letzten sieben Wochen um ein Drittel erhöht wurde.
Ich sage nun nicht, dass alles gut ist. Ich behaupte nur, dass die Begründungen, die von der Exekutive genannt werden, weitere Maßnahmen nicht begründen können.
Warum in der zweiten Welle so viel mehr Menschen an Corona verstorben sind, ist schwer zu erklären. Bei der Spanischen Grippe hat man einen ähnlichen Verlauf beobachtet. Die Spanische Grippe liegt aber 100 Jahre zurück. Man sollte annehmen dürfen, dass wir in der Zwischenzeit dazu gelernt haben und medizinisch besser aufgestellt sind. Wenn folgende, persönlich übermittelte Schilderung eine gewisse Allgemeingültigkeit hat, braucht man sich allerdings nicht zu wundern: In einem Altersheim mit palliativ Patienten wurde ein Bewohner in ein Krankenhaus überwiesen. Nach dem Ende der Behandlung wurde der Patient ohne Test wieder in das Altersheim gebracht. Auch dort wurde kein Corona-Test durchgeführt. Die Frau besuchte ihren Mann und steckte sich bei dem inzwischen an Corona Erkrankten an. Anschließend durfte sich diese Frau frei im Altersheim bewegen. Dabei hat sie 20 Bewohner angesteckt von denen 15 verstarben. Ich stelle mir unter dem Schutz vulnerabler Gruppen etwas anderes vor.
Dass die Fallsterblichkeitsrate trotzdem weiterhin sinkt, könnte mit der Beobachtung erklärt werden, dass die B.1.1.7 Variante des Virus hauptsächlich jüngere Menschen befällt, diese aber nicht so schwer schädigen kann, dass die Erkrankung zum Tod führt.
Meine Vermutung ist ja dass die Forderung nach dem harten Lockdown darauf abzielt den Rückgang der Sterblichkeit im Nachhinein plausibel zu erklären. Ansonsten würden wir Ja die Menschen den Eindruck bekommen, dass so eine Welle auch ohne Lockdown vorbei geht.